9. März 2020Newsletter

Newsletter 2/2020: Neues Beschaffungsrecht des Bundes ab dem 1. Januar 2021

<p>Das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen wird am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Ziel ist die Einleitung eines Paradigmenwechsels weg vom reinen Preiswettbewerb und hin zu einem Qualitätswettbewerb.</p>

A. Einleitung: Politischer Werdegang des rev-BöB, wichtigste Änderungen

Die Revision des öffentlichen Beschaffungs-rechts sieht auf eine lange Entstehungsge-schichte zurück. Eine erste Vorlage, die ein einheitliches Beschaffungsgesetz für Bund und Kantone vorgesehen hatte, scheiterte am Widerstand der Kantone. Darauf erarbeitete eine paritätische Arbeitsgruppe aus Bun-des- und Kantonsvertretern neue Vorlagen für ein revidiertes Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) sowie eine revidierte Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB). Damit soll das Rechte auf Bundes- und Kantonsstufe inhaltlich harmonisiert werden. Gleichzeitig wird die letzte Revision des über-geordneten WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 2012) umgesetzt. Nach einer intensiven parlamen-tarischen Beratung verabschiedeten die eidgenössischen Räte das neue Bundesgesetz am 21. Juni 2019 einstimmig.Das neue Recht setzt zum einen internatio-nale Vorgaben um, etwa mit der Einführung der elektronischen Auktion. Das rev-BöB übernimmt auf Gesetzesstufe verschiedene Instrumente, die bis anhin nicht oder nur auf Verordnungsstufe geregelt wurden, etwa den Dialog oder die Wettbewerbe. In einigen Punkten kam es zu einer Angleichung von Standpunkten, die bisher auf Bundes- und Kantonsstufe unterschiedlich geregelt wa-ren, z.B. bei der Frage der Zulässigkeit von Verhandlungen oder beim Rechtsschutz.

B. Vorteilhaftestes Angebot: Qualitätswettbewerb statt Preiswettbewerb

Zentrales Anliegen des Gesetzgebers des rev-BöB war die Abkehr vom reinen Preiswettbewerb und die viel stärkere Fokussierung auf einen Qualitätswettbewerb. Bundesrat, Verwaltung und Parlament prägten in diesem Zusammenhang den Begriff des Paradigmenwechsels. Dieser frische Wind zeigt sich exemplarisch an Art. 41 rev-BöB: Danach soll das „vorteilhafteste Angebot" den Zuschlag erhalten. Nach bisherigem Recht ging der Zuschlag an das „wirtschaftlich günstigste Angebot". Der neue Begriff orientiert sich an der Vorgabe des GPA 2012 („most advantageous") und will zum Ausdruck bringen, dass eine umfassende Würdigung erfolgen soll, welche insbesondere qualitative Aspekte berücksichtigt und nicht einseitig den Preis („günstig") favorisiert. Die Fokussierung auf einen stärkeren Qualitätswettbewerb zeigt sich an weiteren neuen Bestimmungen, etwa den neuen Zuschlagskriterien der Nachhaltigkeit, des Innovationsgehalts, der Plausibilität des Angebots oder der Verlässlichkeit des Preises (alle in Art. 29 Abs. 1 rev-BöB), der Überprüfungspflicht bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten (Art. 38 Abs. 2 rev-BöB) oder der Zwei-Couvert-Methode, bei welcher die qualitativen und preislichen Aspekte eines Angebots separat geprüft werden (Art. 38 Abs. 4 rev-BöB).

C. Zuschlagskriterien

Der Gesetzgeber wartet bei den Zuschlagskriterien (ZK) mit Neuerungen auf (Art. 29 rev-BöB). Insbesondere kann die schon erwähnte Nachhaltigkeit als ZK definiert werden. Vergabestellen dürfen, vereinfacht gesagt, inskünftig auch Anforderungen an die Art und Weise der Produktion stellen, auch wenn sich diese Vorgaben nicht direkt in den beschafften Gütern oder Dienstleistungen (als Eigenschaft) niederschlagen. Der soziale Aspekt der Nachhaltigkeit ermöglicht z.B. die Festschrei-bung von Fair-Trade-Produkten als ZK. Der umweltrechtliche Aspekt der Nachhaltigkeit lässt die Verwendung von ZK mit Bezug auf Umweltverträglichkeit und Ressourcenschonung zu. Weiter können die Lebenszykluskosten als ZK bewertet werden. Für die Definition der Umwelt- und Sozialaspekte der Nachhaltigkeit und die Prüfung bietet sich an, dass die Vergabestellen auf international anerkannte Zertifizierungssysteme zurückgreifen. Der Nachweis, dass gleichwertige Anforderungen eingehalten werden, ist aber gleichwohl zuzulassen. Im Baubereich gibt die KBOB Empfehlungen ab, wie wirtschaftliche, umweltrelevante und gesellschaftliche Aspekte vom Standortentscheid über die Projektentwicklung bis hin zur Ausführung und zum Betrieb eines Gebäudes mitberücksichtigt werden (www.kbob.admin.ch > Publikationen / Empfehlungen / Musterverträge > Nachhaltiges Bauen). Auch auf diese Empfehlungen kann die Vergabestelle im Rahmen der Ausschreibung für die ZK Bezug nehmen. Neu ermöglicht der Gesetzeswortlaut (trotz bis zuletzt insoweit umstrittenem Gesetzgebungsverfahren) den Auftraggebern die „unterschiedlichen Preisniveaus in den Ländern, in denen die Leistung erbracht wird" als ZK festlegen. Ein entsprechendes ZK vorzuschreiben ist vor dem Hintergrund der staatsvertraglichen Verpflichtungen der Schweiz und des allgemeinen Diskriminierungsverbots, einem Kernpfeiler des öffentlichen Vergaberechts, problematisch. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Vergabestellen dieser Problematik nähern und ob sich diese Vorga-be überhaupt – staatsvertragskonform, aber auch rein praktisch – umsetzen lässt. Neu als mögliche ZK genannt werden die „Plausibilität des Angebots" und die „Verlässlichkeit des Preises". Die besondere Günstigkeit des Angebots allein darf aber nicht zu einer schlechteren Bewertung führen. Es erscheint sinnvoll, dass eine (auch nach Überprüfung durch die Vergabestelle) fehlende oder geringe Plausibilität des Angebots bzw. eine nicht oder wenig gegebene Verlässlichkeit des Preises dann mit Abstrichen zu belegen, wenn diese Umstände begründete Zweifel an der Qualität der vom Anbieter zur erbringenden Leistung und deren Qualität nach sich ziehen. Ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kann die Auftraggeberin ergänzend berücksichtigen, inwieweit die Anbieterin Ausbildungsplätze für Lernende in der beruflichen Grundbildung, Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmende oder eine Wiedereingliederung für Langzeitarbeitslose anbietet. Wie die Vergabestellen dieses ZK definieren und überprüfen werden, bleibt abzuwarten.

D. Angebotsbereinigung (Verhandlungen)

Den Vergabestellen des Bundes ist es im gel-tenden Recht gestattet, im Vergabeverfahren mit den Anbietenden Verhandlungen über die Angebote zu führen. Zulässig sind auch reine Preisverhandlungen (sog. Abgebotsrunden). Wichtige Vergabestellen des Bundes üben allerdings diesbezüglich Zurückhaltung oder verzichten generell darauf. Unabhängig davon geben Verhandlungen den Vergabestellen ein wichtiges Instrument an die Hand, um im laufenden Verfahren nach der Ausschreibung Unklarheiten und offene Fragen zum Beschaffungsgegenstand oder zu den Angeboten zu klären, Mängel der Ausschreibung (in gewissen Grenzen) zu korrigieren oder neue/bessere Erkenntnissen zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck wird im Rahmen von Verhandlungen die nachgefragte bzw. angebotene Leistung (Produkt, Leistungs-umfang, technische Spezifikationen etc.) angepasst – und im Zuge davon meist auch der Angebotspreis aufgrund gleichbleibender Kalkulationsbasis. Im rev-BöB wird die Möglichkeit zur reinen Preisverhandlung zwecks Harmonisierung des Beschaffungsrechts von Bund und Kantonen aufgegeben (Verbot von Abgebotsrunden). Was möglich bleibt, ist die sog. Bereinigung der Angebote (vgl. Art. 39 rev-BöB). Die Vergabestelle darf also nach wie vor das (protokollierte) Gespräch mit den Anbieter suchen und die Leistungsseite der Angebote diskutieren und auf nötige Anpassungen hinwirken. Solche technischen Verhandlungen müssen dem Ziel dienen, den Auftrag oder die Angebote zu klären bzw. die Angebote miteinander objektiv vergleichbar zu machen. Dabei dürfen die Leistungen in Schranken auch verändert werden, solange die Leistung nicht einen anderen Charakter erhält oder der potenzielle Anbieterkreis verändert wird. Als Folge solcher Änderun-gen darf auch der Angebotspreis angepasst werden. Damit hat der Gesetzgeber letztlich die geltende Praxis des Bundesamts für Bauten und Logistik festgeschrieben; eine Einschränkung bringt diese Regelung dagegen für all jene Auftraggeber des Bundes, die auch reine Rabattverhandlungen geführt haben. Interessant wird sein, ob die Kantone im Rahmen der rev-IVöB diesen Kompromiss ebenfalls übernehmen. In den Kantonen ist die (Gerichts-)Praxis bei der Handhabung des Verbots von Abgebotsrunden unterschiedlich streng umgegangen. Für gewisse Vergabestellen wird eine Regelung analog zu Art. 39 rev-BöB deshalb eine Liberalisierung bzw. eine (willkommene) Flexibilisierung des Beschaffungsverfahrens bringen, während in anderen damit auch nur die geltende Praxis beschrieben wird.

E. Rechtsschutz

Nach neuem Recht erlangen die Anbieter die Möglichkeit, auch Verfügungen betreffend Aufträge ausserhalb des Staatsvertrags-bereichs gerichtlich überprüfen zu lassen (Art. 52 Abs. 2 rev-BöB). Damit erweitert der Gesetzgeber einerseits die Rechtsschutzmöglichkeiten auf Bundesebene. Andererseits kann mit einer entsprechenden Beschwerde an das Bundesgericht gerade nicht die Aufhebung der betroffenen Verfügung, sondern – je nach Art des Auftrags aber nur ab dem Schwellenwert für das Einladungsverfahren oder sogar des offenen Verfah-rens – nur die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit verlangt werden. Mit dem Begehren auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verfügung ausserhalb des Staatsvertragsbereichs kann der Antrag verbunden werden, der Beschwerdeführerin einen Schadenersatzanspruch zuzusprechen (Art. 58Abs. 3 rev-BöB). Allerdings ist ein solcher Schadenersatzanspruch beschränkt auf die erforderlichen Aufwendungen, die der Anbieterin im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einreichung ihres Angebots erwachsen sind. Damit entspricht der Rechtsschutz bei Verfügungen ausserhalb des Staatsvertragsbereichs jenem, der gilt, wenn die Beschwerde zwar begründet, der Vertrag mit der berücksichtigten Anbieterin jedoch bereits geschlossen ist. Auch diesfalls kann die Beschwerdeführerin (wie auch bisher) keine Aufhebung des Zuschlags verlangen. Die neue Rechtsschutzmöglichkeit ist damit weitgehend zahnlos und wird in der Praxis wohl kaum häufig genutzt werden. Die Anbieter haben begreiflicherweise kaum ein Interesse daran, für sie nur noch theoretische Rechtsfragen klären zu lassen, ohne dass damit der praktische Nutzen verbunden ist, den Zuschlag des Auftrags noch erhalten zu können. Der Bund gewährt damit in einem wirtschaftlich keineswegs unbedeutenden Bereich eine wenig griffige Überprüfungsmöglichkeit.

F. Gesamtwürdigung und Ausblick: IVöB-Fahrplan, Inkrafttreten, VöB-Fahrplan

Das neue Bundesgesetz soll per 1. Januar 2021 in Kraft treten. Bis dahin werden auf Bundesstufe die Ausführungsbestimmungen (VöB) erarbeitet und weitere Umsetzungsar-beiten vorgenommen. Nachdem das rev-BöB wesentliche Inhalte der bisherigen VöB neu auf Gesetzesstufe regelt (z.B. Dialog, Wettbewerbe und Studienaufträge), ist nicht mit wesentlichen neuen Aspekten auf Verordnungsstufe zu rechnen. Umfangreiche Arbeiten sind in Bezug auf die Überarbeitung von Leitfäden zu erwarten: Zum Beispiel müssen die KBOB-Leitfäden für die Beschaffung von Werk- und Planerleistungen überarbeitet werden, ebenso ist die Erstellung neuer Leitfäden, z.B. für Gesamtleistungswettbewerbe, geplant. Insbesondere in Bezug auf die diversen Neuerungen, etwa bei den Zuschlagskriterien, dürfen erläuternde Dokumente des Bundes erwartet werden. Auf Stufe der Kantone stellt sich zunächst die Frage, inwiefern die Vorlage der IVöB an die Beschlüsse des eidgenössischen Parlaments angepasst werden sollen. Die bereinigte IVöB wird anschliessend den Kantonen zur Ratifizierung vorgelegt. Sobald zwei Kantone dem IVöB beitreten, tritt das Konkordat in Kraft und entfaltet für die beigetretenen Kantone Wirkung. Für beigetretene Kantone wird kein wesentlicher Regelungsspielraum mehr bleiben, der auf kantonaler Eben ausgeschöpft werden könnte.Das neue Recht bringt wesentliche Änderungen mit sich und hat den Anspruch, die Vergabekultur zu verändern. Vergabebehörden und Anbieter tun deshalb gut daran, sich mit dem neuen Recht auseinanderzusetzen und ihre Prozesse (Vergabehandbücher, Richt-linien) resp. ihre Angebotstaktiken zu überdenken und zu überarbeiten. Wer sich proaktiv möglichst rasch auf die neuen Regeln einstellt, kann seine Beschaffung erfolgreich abwickeln bzw. kann auf Anbieterseite auf Vergabeerfolg hoffen. 

 

Kontaktpersonen:

Dr. Christoph Jäger
Rechtsanwalt, Partner
christoph.jaeger@kellerhals-carrard.ch

Dr. Bernd Hauck
Rechtsanwalt, Partner, Leiter der Practice Group Bau und Immobilien, Basel
bernd.hauck@kellerhals-carrard.ch

Dr. Mario Marti, MJur
Rechtsanwalt, Partner
mario.marti@kellerhals-carrard.ch

 

Kellerhals Carrard

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