Überblick
Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (KG) haben wichtige Neuerungen erfahren, die per 1. Januar 2022 – ohne Übergangsfristen – in Kraft treten werden (vgl. K&B-Beitrag 3/2021). Dieser Beitrag legt die Neuerungen in den Grundzügen dar und zeigt Implikationen für die Wirtschaftsakteure auf.
Neuerungen im Wettbewerbsrecht
Geoblocking-Verbot
Im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) wird mit dem neuen Art. 3a das sog. Geoblocking-Verbot eingeführt.
Geoblocking-Massnahmen sind technische Vorkehrungen, die darauf abzielen, den Zugang zu Webseiten regional einzuschränken. Entsprechende Einschränkungen führen zu einer Diskriminierung im Online-Handel. Mit dem Geoblocking-Verbot wird dieser Diskriminierung ein Ende gesetzt.
Mit dem Inkrafttreten von Art. 3a UWG wird es künftig untersagt sein, einen Kunden in der Schweiz aufgrund seiner Nationalität, seines Wohnsitzes, dem Ort seiner Niederlassung, des Sitzes seines Zahlungsdienstleisters oder des Ausgabeorts seines Zahlungsmittels beim Preis oder bei den Zahlungsbedingungen zu diskriminieren. Weiter wird es untersagt sein, dem Kunden den Zugang zu einem Online-Portal zu blockieren bzw. zu beschränken oder den Kunden ohne sein Einverständnis zu einer anderen als der ursprünglich aufgesuchten Version des Online-Portals weiterzuleiten.
Anders als die EU-Geoblocking Regulation, welche dem Schweizer Geoblocking-Verbot als Vorlage diente, findet Art. 3a UWG nicht nur auf Konsumenten Anwendung, sondern auch auf Unternehmen, ungeachtet davon, ob diese Endnutzer oder Zwischenhändler sind.
Keine Lieferpflicht in die Schweiz
Das Geoblocking-Verbot führt keine Pflicht zur Lieferung in die Schweiz ein. Verboten wird lediglich die unterschiedliche Behandlung im Falle von Angeboten an Kunden in der Schweiz. Es stellt damit beispielsweise kein Verstoss gegen das Geoblocking-Verbot dar, wenn ein Produkt, das auf einer ausländischen Webseite kostengünstiger erworben wurde, im Ausland selbst abgeholt werden muss.
Gerechtfertigtes Geoblocking
Art. 3a UWG verbietet Geoblocking nur dann, wenn es ohne sachliche Rechtfertigung erfolgt. Liegt jedoch ein sachlicher Rechtfertigungsgrund vor, so ist Geoblocking auch künftig zulässig. Erfolgt also über eine Geoblocking-Massnahme beispielsweise eine Preisdiskriminierung, die auf tatsächlich höheren Versandkosten gründet, so ist dies weiterhin zulässig. Auch Geoblocking-Massnahmen zur Einschränkung des Zugangs zu Produkten oder Diensten, die gegen Schweizer Immaterialgüterrechte oder Gesetze verstossen, sind weiterhin erlaubt.
Ausnahmen zum Geoblocking-Verbot
Art. 3a Abs. 2 UWG sieht zahlreiche Ausnahmen zum Geoblocking-Verbot vor. So sind etwa Dienstleistungen im Finanzbereich, Dienstleistungen der elektronischen Kommunikation, Gesundheitsdienstleistungen und Glücksspiele nicht vom Verbot erfasst. Ebenfalls vom Geoblocking-Verbot ausgenommen sind audiovisuelle Dienste, wie etwa die Leihe, das Streaming und die Lizenzierung von Filmen und TV-Sendungen.
In Art. 3a Abs. 2 UWG nicht aufgelistet und damit e contrario vom Geoblocking-Verbot erfasst sind dahingegen etwa die Ausleihe von E-Books oder das Streaming von Musik.
Durchsetzung des Geoblocking-Verbots
Das neue Geoblocking-Verbot ist ausschliesslich auf dem Zivilweg durchsetzbar. Eine strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung ist nicht vorgesehen. Es ist allerdings nicht auszuschliessen, dass ein Zivilgericht für den Wiederholungsfall eine Strafandrohung (Busse) nach Art. 292 StGB vorsieht. Die entsprechende Strafandrohung würde nicht das Unternehmen, sondern die Organe bzw. Vertreter des Unternehmens treffen.
Konsequenzen
Ab dem 1. Januar 2022 wird neu untersagt sein, einen Kunden in der Schweiz durch Geoblocking-Massnahmen zu diskriminieren. Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen über Online-Portale in der Schweiz und im Ausland anbieten, sind daher gut beraten, ihre Online-Portale auf allfällige Diskriminierungen im Sinne von Art. 3a UWG zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Sollte eine gerechtfertigte Diskriminierung vorliegen, so empfiehlt es sich, den entsprechenden Rechtfertigungsgrund zu dokumentieren und dessen Weiterbestehen regelmässig zu überprüfen.
Neuerungen im Kartellrecht
Relative Marktmacht
Die Einführung des Konzepts der relativen Marktmacht im Kartellgesetz (KG) dehnt die Missbrauchsaufsicht von Art. 7 KG auf sog. «relativ marktmächtige» Unternehmen aus. Anders als bei der Beurteilung einer «marktbeherrschenden» Stellung ist bei der Beurteilung einer «relativ marktmächtigen» Stellung auf individuelle Abhängigkeitsverhältnisse abzustellen. Neu unterliegen daher auch Unternehmen mit geringen Marktanteilen der Missbrauchskontrolle, sofern andere Unternehmen von ihnen abhängig sind.
Als «relativ marktmächtig» gelten Unternehmen, von denen andere Unternehmen beim Angebot oder bei der Nachfrage einer Ware oder Leistung in einer Weise abhängig sind, dass keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen, auf andere Unternehmen auszuweichen (Art. 4 Abs. 2bis KG). Für eine relativ marktmächtige Stellung sind also – im Gegensatz zur klassischen Marktbeherrschung (Art. 4 Abs. 2 KG) – nicht die Marktstrukturdaten wie etwa die Höhe und Verteilung von Marktanteilen relevant. Vielmehr ist auf das Fehlen von ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten zwischen einem Unternehmen und dessen Geschäftspartner abzustellen. Eine Abhängigkeit liegt vor, wenn ein Unternehmen zur Erhaltung seiner Wettbewerbsfähigkeit beim Bezug oder Absatz einer Ware oder Leistung auf ein bestimmtes Unternehmen angewiesen ist. Dies trifft in erster Linie auf produzierende Unternehmen zu, die auf die Belieferung durch Unternehmen mit bestimmten Vorprodukten oder Ersatzteilen angewiesen sind (z.B. eine Reparaturwerkstatt ist zwingend auf Originalersatzteile angewiesen). Andererseits können unter Umständen auch Produzenten betroffen sein, die für den Absatz ihrer Produkte auf bestimmte Vertriebskanäle angewiesen sind. Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit von Ausweichmöglichkeiten wird einem allfälligen Selbstverschulden des potenziell abhängigen Unternehmens Rechnung zu tragen sein (z.B. freiwilliges Eingehen von Klumpenrisiken).
Ob ein Unternehmen Ausweichmöglichkeiten hat, dürfte häufig relativ einfach zu beantworten sein (z.B. beim Bezug von Originalersatzteilen oder Software-Updates sowie wenn ein Unternehmen ein bestimmtes Produkt benötigt, um spezifische Kundenaufträge zu erfüllen). Ein Indiz für fehlende Ausweichmöglichkeiten kann das Vorliegen einer missbräuchlichen Verhaltensweise gemäss Art. 7 Abs. 2 KG sein: So lassen sich etwa Preisdiskriminierungen grundsätzlich nur dann aufrechterhalten, wenn die Gegenseite keine Ausweichmöglichkeiten hat. Für die Beurteilung schwierigerer Fälle (z.B. der Frage, ob ein Markenartikelhersteller von einem Detailhändler abhängig ist) dürften sich die Behörden an der ausländischen Praxis zum Konzept der relativen Marktmacht – etwa an den Fallgruppen aus der deutschen Rechtspraxis – orientieren (vgl. zu den Fallgruppen bereits K&B-Beitrag 3/2021).
Das Innehaben einer relativ marktmächtigen Stellung ist – gleich wie bei der Marktbeherrschung – nicht per se verboten. Allerdings dürfen solche Unternehmen ihre «Macht» nicht missbrauchen. Massstab für die Fragen nach der Missbräuchlichkeit bildet die Regelung von Art. 7 KG. Diese unterscheidet nicht zwischen marktbeherrschenden und relativ marktmächtigen Unternehmen, d.h. beide sind nunmehr gleichermassen der Aufsicht unterstellt und haben folglich dieselben Verhaltensregeln einzuhalten. So darf neu auch ein «bloss» relativ marktmächtiges Unternehmen gegenüber den von ihm abhängigen Unternehmen ohne sachliche Gründe keine Liefer- oder Bezugssperren verhängen. Gleiches gilt unter anderem für Preisdiskriminierungen, Erzwingung unangemessener Preise und Geschäftsbedingungen sowie Koppelungsgeschäfte.
Diese Neuerung bietet wirtschaftlich abhängigen Unternehmen die Chance, verweigerte Belieferungen durchzusetzen oder missbräuchliche Vertragsklauseln neu zu verhandeln. Denn andernfalls riskiert das relativ marktmächtige Unternehmen, dass die Behörden eine Belieferungspflicht bzw. den Abschluss eines marktüblichen Vertrags anordnet.
Einkauf im Ausland zu lokalen Preisen und Bedingungen
Nebst der Einführung der relativen Marktmacht wird der Beispielkatalog von Art. 7 KG um einen neuen Tatbestand erweitert. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. g KG verhält sich ein Unternehmen neu potentiell missbräuchlich, wenn die Möglichkeit der Nachfrager, Waren oder Leistungen, die in der Schweiz und im Ausland angeboten werden, im Ausland zu den dortigen Preisen und Geschäftsbedingungen zu beziehen, eingeschränkt wird. Damit sind Konstellationen erfasst, wo ein ausländischer Hersteller/Lieferant einem (abhängigen) Nachfrager aus der Schweiz den Einkauf zu den lokalen Konditionen verweigert und stattdessen auf seine Schweizer Tochtergesellschaft verweist, welche dasselbe Produkt zu erheblich höheren Preisen verkauft. Solche Fälle konnten bislang insbesondere auch deshalb nicht kartellrechtlich aufgegriffen werden, weil konzerninterne Vereinbarungen nicht vom Abredetatbestand gemäss Art. 5 KG erfasst sind. Ins Visier dieser Bestimmung rücken also vorab internationale Konzerne, die in der Schweiz in Form von Tochtergesellschaften eigene Vertriebsstrukturen aufgebaut haben. Die neue Bestimmung kommt hingegen nicht zur Anwendung, wenn Waren oder Leistungen ausschliesslich in der Schweiz und nicht auch im Ausland angeboten werden. Wie für jeden Beispieltatbestand nach Art. 7 Abs. 2 KG gilt auch bezüglich Art. 7 Abs. 2 lit. g KG, dass die in Frage stehende Verhaltensweise nur dann missbräuchlich ist, wenn auch Art. 7 Abs. 1 KG erfüllt ist. Die Verhaltensweise muss mithin eine Behinderung von Mitbewerbern in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs bzw. eine Benachteiligung eines Geschäftspartners bewirken (können). Weiterhin können Verhaltensweisen relativ marktmächtiger Unternehmen durchaus sachlich gerechtfertigt sein (sog. «legitimate business reasons»).
Will ein Schweizer Unternehmen seinen Anspruch nach Art. 7 Abs. 2 lit. g KG auf diskriminierungsfreie Beschaffung in einem EU- bzw. EWR-Staat auf dem Gerichtsweg durchsetzen, kann es zunächst in der Schweiz gegen das ausländische Unternehmen klagen und das Urteil hernach – gestützt auf das Lugano-Übereinkommen – im betreffenden Staat anerkennen und vollstrecken lassen.
Konsequenzen
Ab dem 1. Januar 2022 sind neu auch relativ marktmächtige Unternehmen der Missbrauchsaufsicht unterworfen und müssen ihr Verhalten in Bezug auf von ihnen abhängigen Unternehmen entsprechend kartellrechtskonform ausgestalten. Umgekehrt erhalten abhängige Unternehmen eine stärkere Position, insbesondere wenn es um Vertragsverhandlungen geht. In vielen Fällen dürften einvernehmliche Lösungen getroffen werden, indem das abhängige Unternehmen unter Hinweis auf die neue Rechtslage an das relativ marktmächtige Unternehmen herantritt – allenfalls mit Hilfe seines Verbands oder eines Anwalts. Andernfalls steht der Weg an die WEKO und/oder die Zivilgerichte offen.
Für die Prüfung allfälliger Implikationen können sich sowohl potentiell abhängige als auch potentiell relativ marktmächtige Unternehmen an folgendem vereinfachten Prüfschema orientieren: