30. November 2023Juristische AktualitätNewsletter

Litigation Newsletter: Drei Stadien der Eskalation - Teil 2

Wie werden aussergerichtliche Verhandlungen erfolgreich angepackt? Stefanie Rigaux und Aleksandar Stanisavljevic zeigen im aktuellen Newsletter, welche Überlegungen anzustellen sind und geben praktische Tipps.

Einigung ausserhalb eines Gerichtsverfahrens

Kommt es zu einem Konflikt, lohnt sich ein Einigungsversuch ausserhalb und vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens in den meisten Fällen. Unabhängig vom Ausgang der Vergleichsgespräche resultiert am Ende stets ein besseres und genaueres Bild über die Bedürfnisse der Gegenseite, ihre Strategie und Argumentationslinie sowie die tatsächlichen Verhältnisse. Die Beteiligten legen im Rahmen der aussergerichtlichen Einigungsgespräche oft Urkunden vor, die bei einer späteren Einschätzung der Prozessaussichten wertvoll sein können. Zudem werden üblicherweise bereits erste, selbstredend unpräjudizielle, Zugeständnisse gemacht, mithin erfahren die Parteien, welche Punkte die Gegenseite als weniger wichtig und welche als weniger stark erachtet.

 

Vergleichsbereitschaft

Einigungsgespräche bedingen die Vergleichsbereitschaft der Parteien. Schon hier setzen in der Praxis jedoch die ersten Probleme an. Oft ist das Verhältnis der Parteien schon zu Beginn erheblich zerrüttet und keine der Parteien kann sich vorstellen, auf die andere Partei zuzugehen und Zugeständnisse abzugeben. Die erste Pflicht des Anwalts besteht daher vielfach darin, die eigene Klientin vom Nutzen der Vergleichsverhandlungen zu überzeugen und die Vergleichsbereitschaft der eigenen Klientin herzustellen.

 

Vorbereitung und Strategie

Eine gute Vorbereitung der Vergleichsgespräche ist unerlässlich. In einer ersten Phase geht es darum, die konkrete Problemlage möglichst genau zu erfassen. Ausgehend davon ist in einem nächsten Schritt eine Lagebeurteilung und Risikoanalyse vorzunehmen. Die Risikoanalyse kann nach der Methode «Risse» mittels Entscheidungsbaum gemacht werden1. Zuerst sind die massgeblichen Entwicklungsmöglichkeiten des Falls im Entscheidungsbaum abzubilden. In einem zweiten Schritt wird jede Entwicklungsmöglichkeit mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit beziffert. Schliesslich wird das Gesamtrisiko als Wahrscheinlichkeitsaussage berechnet und dieses anhand des Streitwertes kapitalisiert. Gestützt darauf sind der Vergleichsrahmen und das Ziel der Vergleichsgespräche festzulegen. Bei diesem Entscheid spielt nicht nur das Prozessrisiko eine Rolle. Zu fragen ist auch, ob überhaupt die Ressourcen für ein Gerichtsverfahren vorhanden sind oder ob ein negatives Präjudiz hinsichtlich ähnlicher Fälle unbedingt vermieden werden sollte.

Abhängig vom Ziel der Vergleichsgespräche wird eine aggressivere oder konziliantere Strategie gewählt. Soll das Verhältnis der Parteien nach Abschluss der Vergleichsverhandlungen weitergeführt werden, drängt sich eine konziliantere Strategie auf. Doch egal, welche Strategie gewählt wird, ist es notwendig, stets Flexibilität zu bewahren. Nur so ist gewährleistet, dass auf überraschende Entwicklungen angemessen reagiert werden kann. Beispielsweise können im Laufe der Vergleichsgespräche ermittelte neue Fakten eine Anpassung der Risikoanalyse bedingen und eine Verbesserung oder Verschlechterung der eigenen Verhandlungsposition bewirken.

Zur Flexibilität gehört auch Kreativität. Der Streitgegenstand ist in einen grösseren Kontext zu stellen und es sind neue Perspektiven im Interesse aller beteiligter Parteien zu entwickeln. Beispielsweise sind es oft ökonomische Aspekte, die einen Streit schliesslich lösen. Konkret geht es darum, mögliche Gegengeschäfte auszuloten und beiden Parteien einen greifbaren Vorteil zu präsentieren.  

 

Geheimhaltung

Vergleichsgespräche sollen grundsätzlich vertraulich stattfinden. Nur so sind die Parteien bereit, sich ergebnisoffen zur Sache zu äussern. In der Regel wird für die Vergleichsgespräche eine separate Vertraulichkeitsvereinbarung getroffen. Im digitalen Zeitalter ist zusätzlich durch technische und organisatorische Massnahmen sicherzustellen, dass keine unberechtigten Dritten vom Inhalt der Vergleichsverhandlungen Kenntnis erhalten (nur ausgewählte Personen in die Vergleichsverhandlungen involvieren, Passwortschutz von Dokumenten etc.).

 

Wir haben uns geeinigt – und jetzt?

Es folgt schliesslich die fallbezogene Ausformulierung des Vergleichstextes. Unbedingt zu vermeiden ist eine unvollständige oder unklare Formulierung des Vergleichs, die eine erfolgreiche Umsetzung des Vergleichs gefährden würde. Daher sollte ein hohes Mass an Aufmerksamkeit bei der Ausformulierung des Vergleichstextes angewendet werden. Beispielsweise soll stets klar sein, welche Ansprüche mit der Vereinbarung als erledigt gelten. Ausserdem sind auch die Nebenpunkte des Vergleichs nicht zu vergessen und bei Bedarf in die Vereinbarung aufzunehmen, wie die Pflicht zum Rückzug einer Betreibung, zur Löschung von Bauhandwerkerpfandrechten oder zur Vornahme von Grundbucheinträgen.  

 

Und wenn es keine Einigung gibt?

Wenn am Ende die Vergleichsgespräche scheitern, so wird es spätestens vor der Schlichtungsbehörde oder – wenn ein Schlichtungsverfahren entfällt – direkt vor Gericht die nächste Gelegenheit zum Vergleich geben. Selbst wenn vor- bzw. aussergerichtliche Vergleichsverhandlungen gescheitert sind, sollte an der Schlichtungsverhandlung bzw. gerichtlichen Vergleichsverhandlung ergebnisoffen und ohne Verweigerungshaltung teilgenommen werden. Zum einen wird dadurch vermieden, die Schlichtungsbehörde bzw. das Gericht zu verärgern und zum anderen können Vorschläge und unpräjudizielle Einschätzungen der (Friedens-)Richter frischen Wind in eine festgefahrene Situation bringen.

 

 1Prozessrisikoanalyse, Erfolgsaussichten vor Gericht bestimmen (Litigation, Determining Prospects of Success in Court), Risse and Morawietz, C.H. Beck, 1st edition, 2017.

Kellerhals Carrard

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